Die neue Rolle des Personalmanagements für die Arbeitswelt 4.0
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Homepage der EIPA.
Gründe für neue innovative Personalstrategien
Die Folgen des demografischen und gesellschaftlichen (Werte-) Wandels, die internationalen Trends der Digitalisierung, der Globalisierung und Europäisierung sind große Herausforderungen für Wirtschaft und Verwaltung. Sie bringen hohe Anforderungen an die Transformation der Verwaltungen gemäß ihrer Leitziele „Nachhaltigkeit und Klimaneutralität“ mit sich. Nicht zuletzt bedeutet der Wandel in der Arbeitswelt allgemein (Arbeiten 4.0 und New Work) für Personalverantwortliche ein Umdenken und neue Strategien für eine innovative und moderne Personalarbeit mit einem sich verändernden Rollenverständnis. Die Komplexität und Heterogenität der Themen steigt in der VUCA-Welt (volatil, unsicher, komplex, mehrdeutig) ständig. Unternehmen und Verwaltungen müssen vorausschauend agieren und nahezu zeitgleich reagieren. Was den Prozess der Veränderung zusätzlich erschwert, ist das steigende Tempo der Umsetzungsgeschwindigkeit von Maßnahmen in Folge einer erhöhten Prozessdynamik bei Entscheidungsprozessen.
Der Einfluss der Covid-19-Pandemie
Diese komplexe Entwicklung war in Zeiten der Covid-19-Pandemie durch eine besondere Dynamik geprägt: Eine rasche Umstellung von analogen auf digitale Prozesse, Blended Learning, mehr Homeoffice und Arbeitszeitflexibilisierung, neue Möglichkeiten der Kommunikation und Kollaboration, veränderte Formen von Führung und Fürsprache, aber auch neue, quasi „über Nacht“ entstandene, innovative Geschäftsmodelle haben zu einem erfolgreichen Krisenmanagement in Wirtschaft und Verwaltung beigetragen. Plötzlich haben Unternehmen Masken statt Krawatten gefertigt oder Rollwagen für Beatmungsgeräte statt für Industriemontage. Viele Ideen kamen aus der Mitte der Belegschaft, und sie haben mit ihrem Engagement zur erfolgreichen Umsetzung beigetragen.
Rückkehr zum Old-Normal?
Nach Meinung einiger Experten wird die VUCA-Welt künftig ein anderes Akronym sein und dann für Vision, Understanding, Clarity und Agility stehen. Mit einer solchen Vision, mit Verstehen von Strukturen und Prozessen, mit Klarheit zur Orientierung von Kunden und Beschäftigten und mit Agilität können Unternehmen und Verwaltung die komplexen, unsicheren Rahmenbedingungen meistern. Aber das bedeutet auch: Eine Rückkehr zum „Old Normal“, verbunden mit einer starken Präsenzkultur, wird auch wegen veränderter Erwartungshaltungen von Bürgern/Innen, Kunden/Innen und Mitarbeitenden kaum möglich sein. Ein großer Schritt hin zu einer mobilen Arbeitswelt ist getan, der Kulturwandel hat begonnen.
Organisations- und Personalentwicklung ganzheitlich betrachtet
Die Erfahrungen aus dem aktuellen Krisenmanagement zeigen aber auch, dass Organisations- und Personalentwicklung nahezu untrennbar miteinander verbunden sind. Personalverantwortlich bauen kreativitätsfördernde und integrative Strukturen „unter einem gemeinsamen Dach“ von PE und OE auf und leiten ihre Strategie und Ziele davon ab, was die Geschäftsführung oder Verwaltungsleitung als Vision für die gesamte Organisation entwickelt haben. Personalarbeit sollte dabei immer auch kulturbildend und engagementförderlich wirken.
Einfluss der Digitalisierung auf die OE und PE
Digitalisierung und weitere Aspekte von New Work benötigen eine Veränderung der Aufbau- und Ablauforganisation, gute und sinnstiftende sowie engagementförderliche Arbeitsbeziehungen und Rahmenbedingungen, mehr Eigenverantwortung, Partizipation sowie mehr Selbstorganisation der Mitarbeitenden. Die Organisation und ihre Mitarbeitenden und Führungskräfte benötigen aber einen Vorlauf für die Vorbereitung und Befähigung. Denn Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit sind keine Selbstverständlichkeit. Aber je besser dies gelingt, desto stärker kann die Innovationsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung dadurch erhöht werden.
New Work- mehr als Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort
New Work geht damit über die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, Partizipation, flache Hierarchieebenen und Projektorganisation weit hinaus. Zusätzlich sind die oben kurz skizzierten externen Einflussfaktoren, wie zum Beispiel die Diversität des Personalkörpers, die Altersstruktur, die Transformation der Verwaltungen hin zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität als generelle Leitziele, veränderte Raummanagementkonzepte, ein optimiertes Gesundheitsmanagement und viele andere Handlungsfelder in die Entwicklung von HR-Policies in einem möglichst integrativen Ansatz einzubeziehen.
Beschäftigungsfähigkeit in jeder Lebensphase
Die Beschäftigungsfähigkeit (Kompetenz, Gesundheit, Motivation, Engagement) der Mitarbeitenden mit einer guten Performace zu erhalten und zwar in jeder Lebensphase, das liegt im Interesse von Beschäftigten und Betrieben gleichermaßen. Talentmanagement erfährt eine neue Dimension, weil die Eigenverantwortung für die persönliche Entwicklung eine größere Rolle spielt als je zuvor. Gleichzeitig nehmen die direkten Vorgesetzten in ihrer Funktion als Personalentwickler ihrer Teams eine wichtige Brückenfunktion zum Personalbereich ein. Eine Kernaufgabe moderner Personalarbeit wird es auch sein, die notwendigen Kompetenzen für die Organisation zu bestimmen und Defizite sowie Handlungsbedarfe individuell wie organisational zu identifizieren und zu beheben und zu decken. Dies trifft insbesondere auf die Kompetenzen für eine digitale und moderne Arbeitswelt zu. Raum, Zeit und Anreize für lebenslanges Lernen müssen geschaffen werden. Immerhin arbeiten drei bis vier Generationen in den Organisationen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen, mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen zusammen – da können Konflikte entstehen, es können sich Kommunikation und Arbeitsweisen verändern. Aber auch im Hinblick auf Life-Balance benötigen die Beschäftigten vielfältige personalpolitische Angebote.
Lernen fördert Innovationen
Die Lernwelt wird sich verändern. Verschiedene Lernformen und Lernformate haben sich bereits entwickelt. Innovationen sollen in Experimentierräumen oder Laboren mit neuen Methoden wie Design Thinking frei von hinderlichen Barrieren entstehen können. Das bedingt auch andere Raumkonzepte für die öffentliche Verwaltung – unbeschadet auch der Diskussionen über eine mobile Arbeitswelt. Bürowelten wandeln sich weg vom Arbeitsplatz hin zu Orten der Begegnung, der Kommunikation und Interaktion in der zunehmend mobilen Arbeitswelt. Abgeschottete Einzelbüros ohne Sichtkontakt haben vielfach schon ausgedient. Flexible, wandelbare Raumkonzepte, die sich an der Nutzung orientieren, haben sich vielfach schon bewährt. Auch dies ist für Innovationsmanagement in Verwaltungen von Bedeutung.
Diversität und Fachkräftemangel
Die Belegschaft wird dabei immer „bunter“ und vielfältiger. Gleichstellung und Chancengleicheit sind für alle Mitarbeitenden entscheidende Stellhebel für ihr individuelles Engagement – ebenso wie eine von Akzeptanz, Respekt, Toleranz und Wertschätzung geprägte Kultur. Diversität ist längst „kein weiches Thema“ mehr.
Im Kontext des Fachkräftemangels müssen sich Verwaltungen immer mehr als attrative Arbeitgeber beweisen. Mit einem Employer-Branding-Konzept können sie neue Talentgruppen erschließen. Dies bedeutet aber vielfach ganz neue, innovative Ansätze im Personalmarketing und der Rekrutierung, wie beispielsweise den Einbezug der eigenen Mitarbeitenden, die ihre Social-Media-Kontakte für die Rekrutierung nutzen und bei Erfolg prämiert werden. Onboarding wird ebenso wichtig wie die Begleitung in den Ruhestand mit entsprechendem Wissenstransfer. Neue Konzepte für die Mitarbeiterbindung können eine positive Auswirkung auf das Engagement der Mitarbeitenden haben.
Gestaltende Rolle der Personalarbeit
Eine neue Rolle wird der Personalarbeit im Kontext der Umsetzung von Konzepten zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Verwaltung zuzuschreiben sein. Auch hier sind innovative neue Ansätze gefragt. Wie bei vielen anderen Themen auch hat die Personalarbeit hier die Chance, sich als Treiberin von Innovationen zu positionieren. Ihr wird daher neben der klassischen Administration und Personalfürsorge eine strategische und damit transformative Rolle zukommen, die Digitalisierung, die Veränderungen in der Arbeitswelt sowie die ökologische Transformation und dem damit verbundenen Kulturwandel mit entsprechenden Instrumenten und Programmen aktiv zu gestalten. Ein erfolgreicher transformationaler Wandel hängt entscheidend vom neuen Rollenverständnis der Personalarbeit ab – das dürfte weit über das Verständnis als Dienstleisterin für operative Bereiche künftig hinaus gehen. Das Credo auch hier wie bei New Work allgemein lautet: vom Nutzer bzw. der Nutzerin her denken (Stakeholdermanagement), den Sinn der Arbeit vermitteln (u. a. Gemeinwohlorientierung) und die Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre individuelle Entwicklung stärken und Führungskräfte in ihrer Arbeit unterstützen.
Personalmanagement als Business Partner
Aus den Erfahrungen der Pandemie heraus dürfte es der Personalarbeit besser möglich sein, sich als „Business Partner/In“ für die Behördenleitung, für Operative, Führungskräfte und Mitarbeitende zu positionieren. In diesem Kontext kann die Personalarbeit einen Beitrag zur Wertschöpfung und zur Gesamtstrategie leisten. Hinzu kommt die bewährte Expertise als administrative Experten mit Blick auf Bezahlung, Dienstrecht, Prozesse und mehr. Das Management von Veränderungsprozessen bleibt nicht mehr nur eine Aufgabe der Organisationsentwicklung, sondern wird auch Teil der Personalarbeit in einem ganzheitlichen Verständnis
Personalberatung von Führungskräften und Mitarbeitenden
Effizienzgewinne über den verstärkten Einsatz der IT zur Entlastung von administrativen Aufgaben könnten entsprechend reinvestiert werden, um eine moderne Personalberatung, aber auch Lernberatung, zu etablieren. Führungskräfte wie Beschäftigte benötigen Unterstützung, wie aktuelle Erfahrungen in Zeiten der Covid-19-Pandemie mit dem Homeoffice zeigen. Eine von Vertrauen und Wertschätzung geprägte Kultur ist eine wichtige Basis. Führung verändert sich weg von der Präsenzkultur hin zu einer größeren Ergebnisorientierung. Auch Führungskräfte sind wichtige Gestalter des transformationalen Wandels in ihren Einheiten. Auch wird hier die Basis für Innovationen gelegt, denn die Führungskräfte sind weiterhin Dreh- und Angelpunkt jeder Organisation – sie können viel Positives bewirken und ihre Teams zu Höchstleistungen führen, aber auch – bei schlechter Führung – das Gegenteil bewirken, sodass die Mitarbeitenden kündigen Daher ist es von großer Bedeutung, die Führungskräfte auf die mobile Arbeitswelt vorzubereiten, sie frühzeitig in die Veränderungsprozesse einzubinden, entsprechende Kompetenzen aufzubauen und sie auf diesem Weg mit bestmöglicher Unterstützung dauerhaft zu begleiten.
Autorinnen
Beatrix Behrens
Dr. Beatrix Behrens, Expertin beim European Institute of Public Administration( EIPA) und Bereichsleiterin für Organisationsmanagement Hochschule der BA, leitete den Bereich Personalpolitik und Personalentwicklung in der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg bis 30.06.2020 . Sie verantwortete die strategische und konzeptionelle Ausrichtung der Personalpolitik und Personalentwicklung der BA. Sie hat Diplom-Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz und Hochschule für Verwaltungswissenschaften studiert. Die Promotion in Betriebswissenschaft erfolgte an der Universität St. Gallen. Vor der BA hat sie im Nonprofit-Bereich in den USA sowie in der Privatwirtschaft gearbeitet.
Christiane Flüter Hoffmann
Studium an der Universität Bonn und dem Elmira College, New York, Abschlüsse Bachelor of Arts, Erstes und Zweites Staatsexamen für das Lehramt Sekundarstufe I und II.
Berufstätigkeit: Dozentin an der Rheinischen Berufsakademie und seit 1994 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Kompetenzfeld „Arbeitsmarkt und Arbeitswelt“. Sie ist Senior Researcher und Projektleiterin für den Bereich „Betriebliche Personalpolitik“. Frau Flüter-Hoffmann hat zahlreiche Studien, Gutachten und anwendungsorientierte Unternehmensprojekte zu den Themen Personal- und Organisationsentwicklung, Arbeitszeitflexibilisierung, Telearbeit, Wissensmanagement, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Familienfreundlichkeit, demografischer Wandel, alternde Belegschaften und lebenszyklusorientierte Personalpolitik durchgeführt.
Gremientätigkeit: Frau Flüter-Hoffmann war Mitglied des Fachbeirats „Wissensmanagement“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) in Berlin von dessen Einberufung im Jahr 2002 bis zur Auflösung 2004. Von 2002 bis 2020 war sie Mitglied des Ausschusses „Betriebliche Personalpolitik“ der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin. Und von 2007 bis 2020 nahm sie darüber hinaus die Aufgaben eines Jurymitglieds „Wirtschaft“ für die Prädikatsvergabe von „TOTAL E-QUALITY“ wahr. Zudem ist sie immer wieder Jurymitglied bei verschiedenen Preisverleihungen für Unternehmen